Promotion am EES – Interview mit Dr. Janick Meyer

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Frisch aus der Druckerpresse: Brandneu und voller bahnbrechender Erkenntnisse über die automatisierte Berechnung von Schutzparametern präsentieren wir die frisch veröffentlichte Promotion von unserem ehemaligen Kollegen Janick Meyer.

Zum Abschluss seiner Karriere als Doktorand bei uns am Lehrstuhl hat Janick seine Zeit am Lehrstuhl Revue passieren lassen.

  1. Im Oktober hast du deine Dissertation mit dem Titel „Protection Concept Optimization Regarding Dynamic Security and Dependability in Multivariate Power Systems“ am Lehrstuhl für Elektrische Energiesysteme verteidigt. Kannst du in einfachen Worten den Kern deiner Arbeit beschreiben?
    Schutzsysteme haben die Aufgabe, Störungen bestmöglich zu erkennen, abzuschalten und das System vor Folgen und Auswirkungen zu schützen. Schutzkonzepte werden jedoch bis heute von Fachexperten in enger Abstimmung mit der vorliegenden Netztopologie und auf Basis von bereits existierenden Schutzschemata erstellt. Trotz der zukünftig zunehmenden Flexibilität und Volatilität der Netzstrukturen haben sich die Methoden kaum weiterentwickelt und gestalten sich arbeitsintensiv und aufwendig. Darüber hinaus findet eine Überprüfung der Schutzsicherheit nach erfolgten Änderungen am Energiesystem nur selten statt. Mein Vorhaben war daher, die Prozesse der Schutzkonzepterstellung, Parametrierung, Bewertung und Optimierung zu digitalisieren und vollständig zu automatisieren. Schutzsysteme müssen vor geplanten Netzveränderungen oder bei Feststellung von Sicherheitslücken umgehend an neu vorliegende Bedingungen adaptiert werden. Der Lösungsansatz besteht dabei aus sechs verschiedenen, aufeinander aufbauenden Arbeitsschritten und trägt den Namen Protection Toolchain (ProToc). Nacheinander werden die interoperablen Tools Typical Matching, Pre‐Calculations, Algorithm Selection, Setting Calculation, Protection Security Assessment und Optimization durchlaufen. Dabei setzt der Arbeitsablauf auf eine umfassende Datenbasis aus Primär‐ und Sekundärdaten sowie ein eigenes generisches Datenmodell zur Verarbeitung, Berechnung und Analyse von Schutz‐ und Simulationsdaten. Die Vorgehensweise kann sowohl zum Erstellen von ganzen Schutzkonzepten sowie zur Bewertung und Optimierung von bestehenden Schutzkoordinationen eingesetzt werden. Um verschiedene Schutzfunktionen mehrerer Schutzgeräte eines systemweiten Netzabschnittes aufeinander abgestimmt und zusammenhängend einstellen zu können, wird ein neuer, hybrider Binary Particle Swarm Optimization (BPSO) Algorithmus vorgeschlagen. In Zusammenarbeit mit einer dafür speziell konzipierten Bewertungsmethode können so verwendbare und verlässliche Schutzeinstellungen vollautomatisiert ermittelt werden. Dabei nimmt der Ansatz Abstand von traditionellen Einstellphilosophien, die den Fokus rein auf Selektivität legen. Ziel ist es vielmehr, das Energiesystem ganzheitlich zu betrachten und alle Auswirkungen eines Fehlers und des Schutzsystems auf die Systemstabilität und die Versorgungszuverlässigkeit mit einzubeziehen und zu bewerten. Nur so ist ein optimaler Kompromiss aus dynamischer Sicherheit und Zuverlässigkeit möglich. Darüber hinaus kann auch der zeitliche Verlauf einer Fehlerklärung berücksichtigt und Unselektvititäten gegeneinander abgewogen werden. Die Ergebnisse von Simulationen und praktischen Tests im Echtzeitlabor beweisen, dass die ProToc unabhängig der vorliegenden Topologie und Netzart in der Lage ist, verschiedene Schutzfunktionsarten und Einstellwerte gemeinsam und präzise aufeinander abgestimmt zu parametrieren. Schutzsysteme und Konzepte werden hoch flexibel an vorliegende, multivariate Netzsituationen optimiert. Die Vorgehensweise arbeitet losgelöst von üblichen Beschränkungen und erzielt so selbst in Situationen, wo andere Techniken versagen, maximale Sicherheit. Dabei werden auch bisher unbekannte und unkonventionelle Lösungsstrategien erarbeitet, die es unter anderem ermöglichen, bereits vorhandenen und verbauten Schutzgeräte effizienter und wirkungsvoller einzusetzen. Die größte Herausforderung liegt dabei in einer effektiven und präzisen Steuerung des Optimierungsprozesses über geeignete Suchräume und entsprechende Bewertungs‐ und Straffunktionen. Zweifelsohne befindet sich die ProToc noch in einem frühen Entwicklungsstadium. Sie beweist jedoch schon heute, dass sie einen erheblichen Mehrwert zur nachhaltigen Entlastung von Netzbetreibern und aufgrund ihrer Effektivität und Vielseitigkeit zur Aufrechterhaltung der Netz‐ und Schutzsicherheit leisten kann.
  2. Deine Arbeit fand maßgeblich im Kopernikus ENSURE Projekt statt. Dabei handelt es sich um ein Forschungsprojekt der Bundesregierung zu dem Stromnetz der Zukunft. Wie lief die Arbeit in dem Projekt ab und was war dabei deine Aufgabe?
    Das Kopernikus ENSURE Projekt ist eines von vier Kopernikus Projekten, an dem Übertragungs- und Verteilnetzbetreiber, Stadtwerke, Universitäten, NGOs und Industrieunternehmen zusammen an der Energiewende forschen. Ein derartig großes Projekt stellt immer eine Herausforderung dar. Um die Themen zu ordnen und die jeweiligen Partner mit ihrem Fachwissen optimal einzusetzen, wurden die Tätigkeiten in verschiedene Teilprojekte und Arbeitsbausteine heruntergebrochen. In den Bausteinen arbeiteten dann ausgewählte Partner sehr eng an einem Thema zusammen, wobei eine Vernetzung mit anderen Bausteinen und Teilprojekten über die jeweiligen Leiter und das Projektmanagement sichergestellt wurde. Zudem fanden natürlich auch regelmäßige digitale, hybride und auch reale Treffen in unterschiedlichen Zusammensetzungen statt, an denen dann die verschiedenen Arbeitsstände vorgestellt und dokumentiert wurden. Außerdem wurden wichtige, übergeordnete Themen an den großen Treffen mit allen Partnern diskutiert und Lösungen erarbeitet. Rückblickend kann man sagen, dass trotz der Pluralität der Partner wirklich hervorragend miteinander zusammengearbeitet und geforscht wurde. Mein Aufgabenbereich hat sich während der sechs Jahre immer mal wieder verändert und erweitert. Als Lehrstuhl waren wir aber stets bei allen Themen bezüglich Schutz, Schutzsystemen und Schutzkoordination eingebunden und haben sowohl lenkende als auch leitende Tätigkeiten für das Projekt übernommen.
  3. Was waren neben der Arbeit in ENSURE deine Aufgaben als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am EES?
    Da gab es selbstredend verschiedenste kleinere und auch größere Aufgaben. Sie alle vereint dabei die Tatsache, dass sie einen über den Tellerrand hinausschauen lassen, sodass jeder Mitarbeiter nicht ausschließlich nur rein akademische unterwegs ist. Wie die meisten war ich in der Lehre eingesetzt, habe Klausuren korrigiert, Exkursionen geplant und durchgeführt, Veranstaltungen mit organisiert sowie studentische Abschlussarbeiten betreut. Zudem habe ich unserem IT-Fachmann, Klaus Schneider, zur Seite gestanden und die Umsetzung der neuen Homepage maßgeblich vorangetrieben.
  4. Nachdem du 2009 aus Hamburg nach Erlangen gekommen bist, um dort erfolgreich deinen Bachelor- und Masterabschluss in Energietechnik zu machen, bist du erst einmal in die Industrie gegangen. Nach zwei Jahren bist du wieder an die Uni gewechselt. Was war deine Motivation zu diesem Schritt?
    Nach meinem Masterabschluss bin ich tatsächlich erst einmal zur jetzigen Siemens Energy AG in die Abteilung Regelung und Schutz von Flexible AC Transmission Systems (FACTS) gegangen. Das war eine großartige Zeit, ich hatte wunderbare Kollegen, einen exzellenten Chef, das Themengebiet war spannend, die Aufgaben fordernd und ich hatte damals gar nicht vor, dort aufzuhören. Es hatte sich zu der Zeit durch Zufall ergeben, dass ich mit Prof. Jäger ins Gespräch kam. Dabei stellte sich heraus, dass er das Thema automatisierte Schutzbewertung und -optimierung gerne weiter vorantreiben wollte, wobei ich im Rahmen meiner Masterarbeit schon auf dem Gebiet gearbeitet hatte. Schlussendlich war es ein Bauchgefühl, dass ich mich dieser Herausforderung noch einmal stellen wollte.
  5. Was waren die größten Unterschiede zwischen deiner Arbeit in der Industrie und der Universität?
    Die Art der Arbeit. Während meiner Zeit bei Siemens haben wir wesentlich stärker im Team zusammengearbeitet. Wenn viele Personen gleichzeitig an einem Strang ziehen, dann merkt man erst, wie viel sich in kurzer Zeit bewegen, erschaffen und verändern lässt. Das ist für einen Ingenieur großartig. An der Uni waren wir mehr Einzelakteure in einem Team. Wir haben uns selbstredend auch unterstützt, fachlich eng ausgetauscht und in Projekten hervorragend zusammengearbeitet, aber am Ende hat jeder dennoch sein eigenes Fachgebiet. Dafür ist man an der Uni sehr viel eigen- und selbstständiger, hat die Aufgabe und notwendige Zeit Themenkomplexe tief zu durchdringen und zu durchdenken und kann sich individuell, fachlich weiterbilden und verschiedensten Themen widmen.
  6. Welche Fähigkeiten sollte man als Wissenschaftlicher Mitarbeiter unbedingt mitbringen?
    Am wichtigsten sind Begeisterungsfähigkeit, Neugier und Durchhaltevermögen. Man sollte aber auch in der Lage sein, sich selbstständig in komplexe Themen einzuarbeiten und jeden Tag etwas neues Lernen wollen.
  7.  Hast du in deiner Zeit am EES einmal mit deiner Arbeit gehadert? Warum und wie hast du wieder Motivation zum Weitermachen gefunden?
    Ich denke, dass tuen bei einer Dauer von 5 – 6 Jahren die meisten irgendwann einmal. Bei mir war es vor allem zu einem Zeitpunkt, wo es einfach nicht vorangehen wollte. Ich hatte zwar ein Themengebiet, eine Zielvorstellung und auch einen groben Fahrplan, aber es fehlte der Durchbruch, viele Tests führten nicht zum gewünschten Ergebnis und es schwebten mehr Probleme als Lösungen am Horizont. Geholfen haben dann Gespräch mit den Kollegen und mit Prof. Jäger. Auch ist es wichtig, sich in solchen Situationen aufzuschreiben, was man schon geleistet hat, was die nächsten Schritte sind und sich über kleinere, gesteckte Ziele und Erfolge wieder zu motivieren.
  8. Was hast du aus deiner Zeit als Doktorand für dein weiteres Arbeitsleben mitgenommen?
    Das ist so viel, das lässt sich gar nicht alles auflisten. Es geht, anders als die meisten glauben, auch viel weniger um das Endergebnis. Es zählt vielmehr die Art des Arbeitens, die Art und Weise, wie man Themen betrachtet, diskutiert, aufschreibt, durchdenkt. Die Zeit als Doktorand ist eine Zeit, in der man lernt, wächst, sich fachlich und sozial weiterentwickelt.
  9. Wie einfach/schwierig war der Einstieg in die Industrie nach deiner Promotion?
    In meinem Fall war es tatsächlich leicht. Ich habe die große Ehre und das Vergnügen, dass ich mit der Siemens PTI (Power Technologies International) eine Abteilung gefunden habe, die weltweit Consulting im Bereich Energiesysteme anbietet und damit ebenfalls sich jeden Tag mit hochkomplexen Themen und Fragestellungen beschäftigt. Dabei beteiligt sich die PTI auch an Forschungsprojekten wie beispielsweise dem Kopernikus ENSURE Projekt, hat aber auch ganz aktuelle Herausforderungen von Kunden auf dem Schreibtisch liegen, die bearbeitet und gelöst werden müssen. Für mich ist es nach meiner Zeit an der Uni die optimale Stelle, um das Gelernte aus Studium, Arbeitswelt und Promotion zu kombinieren und anzuwenden.
  10. Welche Momente behältst du aus der Zeit am Lehrstuhl in Erinnerung?
    Jede Menge. Dabei ist von der gemeinsamen Skifahrt mit den Kollegen, Sommerfesten des Lehrstuhls, Exkursionen mit Studierenden, der Zusammenarbeit mit meinen HiWis, über die Annahme des ersten Papers und der Teilnahme an nationalen und internationalen Konferenzen alles dabei. Vor allem werde ich aber versuchen, die hervorragenden Gespräche und Diskussionen mit Prof. Jäger aufrecht zu erhalten.

Wir möchten Janick für seine wertvolle Zeit am EES danken!
Immer bereit für Diskussionen und fachlichen Austausch, hat er das Leben am Lehrstuhl erhellt.

Wir freuen uns sehr darauf, auch weiterhin durch gemeinsame Forschungsprojekte zusammenzuarbeiten!